Verzwickte Geschenke

Verzwickte Geschenke

Wir kannten uns schon fast ein dreiviertel Jahr, als – wie alle Jahre so unerwartet – plötzlich Weihnachten war. Mein Liebster und ich rotierten von einem zum anderen. Seine Eltern, meine Mutter – und dann auch noch mein Vater, denn die waren natürlich auch an Weihnachten nicht zusammen zu kriegen. Es war also schon kurz vor Mitternacht, als wir endlich nach Hause kamen. Gott sei Dank! Himmlische Ruhe! Keiner, der wissen wollte, was der andere gesagt, gemacht, gedacht, geschenkt oder sonst was hatte. Keiner der nachprüfte, ob wir nicht beim anderen fünf Minuten länger waren! Dafür ein wundervoll geschmückter großer Weihnachtsbaum.

Wie herrlich war das gewesen ihn auszusuchen und zu kaufen. Wir waren uns auch einig, dass 50 Deutsche Mark eigentlich ein Schweinegeld war – und wir es uns nicht leisten konnten, aber … Und das abendliche gemeinsame Schmücken erst! Das war doch unser heimlicher Heiliger Abend gewesen! Wir zwei alleine und keiner, der was von uns wollte! Viel Zeit, ein Topf mit selbstgekochtem Glühwein und Nat King Cole Weihnachtslieder vom Tonband! Und die Kerzen haben wir auch angezündet – obwohl noch gar nicht Heiliger Abend war, und wir das in unseren jeweiligen Elternhäusern niemals gedurft hätten. Nie! – Es war nicht zu toppen. Wir waren richtig verrucht – nicht bloß allein wegen dieser Kerzen. Doch, es war ein toller Abend!

Aber dann kam der „echte“ Heilige Abend, und es war eigentlich nur lästig. Meine Eltern zu beschenken war schon damals unmöglich, und es ist es heute noch. Nur heute macht es mir nichts mehr aus. Seine Eltern kannte ich noch nicht so gut, und dumm war auch, dass mein Schwiegervater, der beste von allen, mir schon damals – sehr zum Leidwesen seiner Frau Gemahlin – viel zu deutlich zeigte, dass ich ihm die allerliebste seiner drei Schwiegertöchter war. Obwohl ich damals noch gar nicht seine Schwiegertochter war. Alles in Allem: Unangenehm bis peinlich. Ging aber alles vorbei.

Kurz vor Mitternacht kamen wir heim. Bescherung! Ja, ähmmm … da hatten wir nun die Bescherung! Ich weiß nicht mehr, was ich meinem Herzensschatz schenkte, aber ich weiß noch, was ich bekam – und das war ein Griff ins Clo! Einen Fön! Natürlich hatte ich Haare bis an die Hüften und natürlich musste ich zweimal die Woche heim zu Mama, denn ich hatte keinen Fön bei ihm, und natürlich war es praktisch und nötig und eine gute Idee, aber … zu Weihnachten? Himmel! Und da stand er, der Mann meines Herzens und erwartete Begeisterung, überschwängliche Freude oder zumindest ein Lob. Mist! Ich war schon immer schlecht im Lügen. Tagelang hatte ich gerätselt, was er mir wohl schenken würde, hatte überlegt, was ich mir wünschte, war auf tausend Dinge gekommen … Warum war er nicht darauf gekommen?

Mein Herz krampfte sich zusammen. „Ja, sehr schön!“, bedankte ich mich lustlos, und mein Lieblingsmann war so feinfühlig und gescheit, nicht nachzubohren, ob mir das Teil denn nun gefiele, und wenn nicht, warum nicht. Er ließ es auf sich beruhen, obwohl ich sah, dass er enttäuscht war. War ich aber ja auch! Gut, die Weihnachtslieder und der Glühwein waren auch dieses Mal wundervoll – ebenso wie unser liebevoll bereitetes Bett unter dem Weihnachtsbaum. Und was ist schon ein falsches Geschenk? Trotzdem! Ich konnte nicht aufhören darüber nachzudenken, in der nächsten Zeit. Und wie immer, wenn ich intensiv denke, komme ich zu einem Ergebnis!

Ich kannte viele Menschen – auch damals schon! Und es scheint ein eisernes Gesetz zu sein, dass Männer nicht schenken können. Ich habe es noch nie erlebt, dass meine Mutter das Geschenk bekommen hätte, das sie sich wünschte. Und sie ließ uns Kinder schwören, dass wir es ihm nie sagen würden, was es denn war, das sie sich wünschte. Er sollte sich mal selber den Kopf zerbrechen. Wenn er sie lieben würde, dann würde er das tun, und dann würde er auch drauf kommen. Sicherlich! Diese Wahrheit hatte ich sozusagen mit der Muttermilch eingesogen.

Aber ich bin ein lernfähiges Menschenkind, wenn auch zugegebenermaßen nicht besonders schnell! Denken, denken, denken! Nein, ich zweifelte keine Sekunde daran, dass er mich liebte! Und, ja, er wollte mich glücklich machen! Das wusste ich damals und weiß es noch heute. Er hatte den Fön für eine tolle Idee gehalten und war stolz darauf gewesen. Ich musste zugeben, dass ich einen Fön brauchen konnte und auch, dass es mir die lästigen Heimfahrten ersparte. Trotzdem wollte ich dieses Ding nicht zu Weihnachten! Irgendetwas unterschied anscheinend die Männer von den Frauen, ich meine, außer dem, was man da gemeinhin als Unterschied ansieht. Andererseits … wenn mein Mann mich glücklich machen wollte, es aber deshalb nicht konnte, weil ich meine Wünsche so geheim versteckte, dass er detektivische Arbeit leisten müsste, es herauszubekommen … war ich dann nicht ausgesprochen dämlich?

Woher sollte er denn wissen, welcher der unzähligen Nagellacke es denn wäre? Der mit dem C vorneweg, oder doch der mit dem Y? Und dann in rot – ungefähr 27 Millionen Nuancen, oder doch pink – genauso viele Schattierungen – oder vielleicht blau, grün, schwarz, silbern, gold? Womöglich sogar Farben, von denen er überhaupt nicht weiß, dass das Farben sind: Mystic Violet Gray, Vintage Lilac, Sooty Plum? Wie viel weiß ich denn über seine heißgeliebten Kameraobjektive? Und ist es wirklich ein Liebesbeweis, genau den Lack unter Millionen zu treffen, der mir gerade zu dem neuen Outfit vorschwebt, das ich erst gestern gekauft habe? Vor allem: Ist es der einzige und durchschlagende Liebesbeweis?

Ich grübelte lange und sehr intensiv – und ich kam zu dem Ergebnis: Ich war nicht leidensfähig genug! Bei Weitem nicht so leidensfähig, wie meine Mutter, die Zeit ihres Lebens Geschenke hasste, weil es nie die richtigen waren. Ich wollte mich freuen über die Präsente meines Mannes – und ich wollte ihn glücklich machen mit meiner Freude. Er sollte sein Erfolgserlebnis haben. Schließlich liebte er mich, daran gab es keinen Zweifel! Er wollte mich erfreuen – und ab sofort würde ich dafür sorgen, dass er wusste, was ich mir wünschte. Ohne Spionage und Detektivarbeit. Ich wusste natürlich auch damals schon, dass Männer ein beiläufiges Erwähnen eines Wunsches selten realisieren, weil sie nicht so gut zuhören. Aber mal ehrlich: Wie oft habe ich überhört, dass er … Fußball, Autos, Fotos … ach Gott, was weiß ich denn! Gleiches Recht für alle.

Seit damals habe ich nie wieder ein falsches Geschenk bekommen. Alle meine Freundinnen beneiden mich um diesen Mann! Inklusive meiner Mutter! Was für ein außergewöhnliches und sensibles Exemplar! Und er sonnt sich in diesem Wissen. Darf er auch, denn ich bin glücklich mit den Geschenken, die er mir macht – ABER neulich ist ihm nach 25 Ehejahren gelungen mich tatsächlich zu überraschen – mit einem Geschenk!

Am Muttertag kommen unsere Kinder, und mein Schatz fragt: „Hast du es besorgen können?“ Mein Großer nickt, und eine gefühlte Ewigkeit und ein paar Heimlichkeiten später, drückt mein Liebster mir das Traumgeschenk schlechthin in die Arme, und ich weiß gar nicht mehr was ich sagen soll vor lauter Begeisterung. Er hat es geschafft. Ich bin sprachlos! Wirklich, ich habe nie gezweifelt. Er ist mein Traummann und er liebt mich. Den Beweis habe ich hier. Das beste aller möglichen Geschenke: Einen großen, weichen, flauschigen, weißen Teddybären! Er schläft jede Nacht in meinem Bett, und ich bin so glücklich damit. Ehrlich! Ich liebe ihn!

© Claire